ZU GAST IM REICHSTEN DORF CHINAS

2011 hatte ich das große Glück, auf Einladung einer Agentur nochmals China bereisen zu dürfen. Meine vorgesehene Tour war klassisch – von Peking bis Shanghai, und zwar mit dem Schnellzug. Einige Wochen zuvor hatte ich einen Bericht über ein kleines Dorf in der Nähe von Shanghai gesehen – Huaxi Village. Da wollte ich unbedingt hin. Ich verlängerte also mein Programm und reiste nach Nanking und zuvor eben nach Huaxi. Huaxi Village ist das vielleicht bekannteste - weil (angeblich) reichste Dorf der Volksrepublik.

Als ich die Autobahn verließ, kam ich direkt auf eine breite Prachtallee, die sich mitten durch die prunkvollen und mit roten Ziegeln gedeckten Villen ins Dorf zieht. Jedes Haus in Huaxi hat eine Garage, denn hier besitzen alle Familien der 1.500 ursprünglichen Bewohner mindestens ein Auto, bereitgestellt von der Dorfverwaltung. Heute wohnen hier 35.000 Menschen. Der Erfolg und die Entwicklung von Huaxi gehen auf das Wirken von Wu Renbao zurück. Sein Gesicht ist überall im Dorf zu sehen (fast „zu bewundern“) und weit über die Dorfgrenzen mit der Erfolgsstory von Huaxi verbunden. Wu selbst ist fast noch täglich auf den Straßen unterwegs und erklärt chinesischen Besuchergruppen stolz die Entwicklungsgeschichte seines Dorfes. In den 60er Jahren eröffnete er eine Metallwarenfabrik, in der er heimlich produzieren ließ. Mit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes in den 1980er Jahren hatte sich das Dorf bereits einen ökonomischen und vor allem technischen Vorsprung aufgebaut und konnte diese nun zu seinem Vorteil nutzen.

Die größten Firmen und Unternehmen in Huaxi haben sich mittlerweile zur börsendotierten Huaxi Group zusammengeschlossen und erwirtschaften mit Eisen, Stahl und Textilien Milliarden-Umsätze. Die begünstigten Investoren und Teilhaber der Gruppe sind hauptsächlich die 1.500 Erst-Einwohner-Familien von Huaxi. Sie bekommen einen jährlichen Bonus ausgezahlt, der größte Teil des Gewinns wird jedoch wieder in die Unternehmensgruppe investiert. Dafür erhalten die Bewohner eine kostenlose Gesundheitsversorgung, Bildungsleistungen und Rentenversicherung. Auch Reisen ins Ausland oder innerhalb von China werden von der Dorfverwaltung bezahlt. Dem Erfolg und Wohlstand gegenüber steht die Tatsache, dass die Bewohner in Huaxi Village wohnen bleiben müssen. Verlassen Sie das Dorf, verlieren Sie ihren Reichtum.

Huaxi Village wird jährlich von Tausenden chinesischen Touristen besucht, bislang aber kaum von westlichen Besuchern. Ein Besuch lohnt sich aus meiner Sicht unbedingt. Es gibt einiges zu sehen, wie das 5–Sterne Longxi International Hotel. Von außen wirkt es eher unspektakulär, von innen aber hui! In der Spitze des turmförmigen Gebäudes befinden sich ein Drehrestaurant und eine Panaroma-Plattform. Kunstliebhaber finden auf einigen Etagen des Hotels beeindruckende Exponate. Dazu zählt auch der goldene Bulle im 60. Stock, der aus einer ganzen Tonne Gold besteht.

Ganz nach dem Motto „Made in China“ wurde am Longxi-See des Dorfes die vielleicht interessanteste Attraktion von Huaxi Village erreichtet – der Welt Park, in dem Nachbauten von weltberühmten Bauwerken zu bewundern sind. Auf dem Berg über dem Dorf befindet sich das Tiananmen-Tor und führt direkt zur Chinesischen Mauer. Auch der Pariser Triumphbogen, das Opernhaus von Sydney und das amerikanische Capitol sind hier nachgebaut zu finden. Die Bewohner und Touristen können somit in sehr kurzer Zeit eine Reise um die Welt erleben.

 

Der Ausflug nach Huaxi Village war auf der einen Seite sehr interessant und überraschend. Denn es gibt dieses Dorf und seine Geschichte dahinter wirklich. Allerdings ist dieses auch ein typisches Beispiel, wie sich Menschen mit viel Geld und Macht entwickeln können. Davon konnte ich mich überzeugen, als ich mit einem der wichtigen Dorfvertreter im damals noch ganz neuen Longxi International Hotel zu Mittag essen durfte. Als deutsche Langnase bekam ich einen Ehrenplatz und konnte hautnah beobachten, wie die Mitarbeiter und Bediensteten immer wieder zusammen zuckten und kuschten, sobald Mr. Wichtig seine Hand hob. Am Nachmittag bin ich dann mit vielen Eindrücken weiter nach Nanking gefahren und war froh, dass ich nicht einer von den 35.000 Huaxis war.