Weit weg im Reich der Mitte - dunkle Geschichten aus Beijing

Der Anruf kam ziemlich überraschend, denn bereits vor Monaten hatte ich Kontakt nach China aufgenommen (und es schon wieder vergessen). Da ein Trainee aus Deutschland ausgefallen sei, könne ich relativ spontan einen Praktikumsplatz bekommen – mitten in Peking. Ich hatte drei Tage Zeit für eine Entscheidung. Nur einen gefühlten Moment später war der Flug gebucht und das Visum in Vorbereitung. Na klar – wer kann so ein Angebot ablehnen.

 

Ich hatte das Vergnügen, mit dem Jungfernflug der damals noch existierenden LTU nonstop von Düsseldorf nach Peking zu fliegen. In der 15 Millionen-Metropole war bereits alles vorbereitet, ich wurde am Flughafen empfangen und konnte die super zentral liegende Praktikantenwohnung beziehen. Was sollte jetzt noch schief gehen.

Peking ist nicht nur das politische Zentrum der Volksrepublik, sondern bietet auch kulturell eine ganze Menge. Abgesehen von der Verbotenen Stadt, dem Himmelstempel, der außerhalb liegenden Chinesischen Mauer und dem als Vogelnest bezeichneten Olympiastadion gibt besonders das Stadtzentrum viel her. Alte Hutongs, hochmoderne Architektur und eine stets überfüllte U-Bahn mit ganz viel Knoblauch-Flair. Daneben ist Peking eine Studentenstadt mit einer entsprechenden Szene – hier muss ich allerdings ergänzen, dass ich 2004 dort gewesen bin und anschließend für Olympia 2008 sehr viele authentische Kneipen- und Restaurantstraßen abgerissen wurden. Tja! Alles neu macht der (Herr) Mai.

Ich hatte wie gesagt das Glück, in der Praktikantenwohnung zu wohnen. Zunächst zu zweit, zwischendurch einige Wochen allein. Besonders erinnere ich mich an einen Freitagabend. Kurze Zeit, nachdem ich in der Wohnung ankam, ging plötzlich das Licht aus. Da ist bestimmt irgendwo ein Sack Reis umgefallen, habe ich gedacht. Doch der Sicherungskasten zeigte an, dass alles in Ordnung sei. Komisch. Was war dann los? Gut ist es, wenn man Kollegen hat, die sprachlich vermitteln können. So rief ich direkt eine Kollegin an, die wiederum Kontakt zum Vermieter aufnahm. Es stellte sich heraus, dass es in China üblich ist, Strom im voraus zu kaufen – also prepaid. Danke an meine Vorgängerin, dass sie mir das nicht mitgeteilt hatte. Egal. Äh - doch nicht. Wie sollte ich denn am Freitagabend an eine Stromprepaidkarte kommen? Meine chinesische Kollegin hatte dieses jedoch bereits erfahren. Am Samstag sollte ich den Vermieter treffen und ihm das Geld zum Aufladen geben. OK. Äh – doch nicht. Da auch in Peking die Nächte äußerst dunkel sind, bin ich also erst einmal zum nahen Supermarkt gelaufen und habe Kerzen und Streichhölzer besorgt. Am nächsten Morgen hat dann alles wunderbar geklappt – auch dank meiner Kollegin, die an erneut als Dolmetscherin fungierte.

Die Stromgeschichte fällt mir immer wieder gerne ein, wenn ich an Peking denke. Auch, weil außer einer dunklen Wohnung nichts hätte passieren können. Im Gegensatz zu einer zweiten Anekdote, die viel brenzlicher hätte enden können:


Hierzu muss ich einen kurzen Exkurs einschieben. Zwei Jahre zuvor war ich mit dem Rucksack in Indien unterwegs und auch zu Besuch in Dharamsala, dem Sitz des Dalai Lama und vieler Exil-Tibeter (für die Lehrer unter Euch: der eigentliche Sitz ist in McLeod Ganj, in der Nähe von Dharamsala). Natürlich gab es das eine oder andere Souvenir, das damals Platz in meinem Rucksack fand.


Nun zurück nach Peking. Noch ganz zu Beginn des Praktikums hatte ich mir vorgenommen, zum Platz des Himmlischen Friedens zu gehen. Der Tian’anmen-Platz ist der weltweit größte öffentliche Platz und bietet etwa einer Million Menschen Raum. Immer wieder nutzen politische Aktivisten den Tian’anmen für kritische politische Statements. Auf meine Frage, wie lange es dauern würde, bis die Polizei bei einer Protestaktion reagiert, sagte mir ein Kollege: „Wenn die Protestler Glück haben, dauert das mindestens 20 Sekunden“.  Also – ich war jetzt auf dem Weg von der Wohnung zur U-Bahn, um zum Tian’anmen zu fahren. Kurz vor dem Betreten der Dongzhimen-Station schaute ich aus irgendeinem Grund entlang an meinem T-Shirt auf den Boden. Erschrocken blieb ich stehen und schaute mich erst einmal um. Ich war noch im Wohnviertel und weit weg von den vielen Touristen (und versteckten Polizisten). Zum Glück. Denn das „Tibet will be free“ auf meinem Shirt hätte mich in ernste Probleme bringen können. Schnell und direkt ging es zurück in die Wohnung, und nach einem erfolgreichen Kleidungswechsel konnte das Besichtigungsprogramm für diesen Tag beginnen. Auch Jahre nach dieser Aktion erschrecke ich mich noch immer über diese Story. Was hätte alles passieren können – „hätte – hätte – Fahrradkette“.

Rückblickend muss ich sagen, war die Zeit in Peking eine der schönsten. Die Stadt lohnt sich, besonders, wenn man sie entdeckt und mit Einheimischen zusammen erlebt. Allerdings sind die Luftverschmutzung und der Dauer-Smog mittlerweile so stark, dass ich heute das Praktikum lieber woanders machen würde.

SeVEN-Tipp:  in Peking genießen Urlauber einen 72-stündigen Transitaufenthalt ohne Visum, wenn sie einen internationalen Weiterflug vorzeigen können.